Donnerstag, 29. März 2018

Hensel und Grätel

Es begab sich aber zu jener Zeit, an einem dieser Tage, als der Schnee die bronxx mal wieder in eine weiß gepuderte Winterlandschaft verwandelt hatten. Mitten im März des noch jungen Jahres, war das eisige Nass über Nacht und in den frühen Morgenstunden gefallen. All überall bedeckte es in seiner Pracht die Straßen, die Gehwege, die Häuser und die Autos.
Und der Zauber blieb nicht unentdeckt an diesem ach so zeitig erwachenden Tag. Viele kleine Erdenbürger aus dem Westlichen Ringgebiet mussten schon unterwegs gewesen sein. Gesendet von den noch schlaftrunkenen Eltern. Hinausgeschickt in diese kalte kalte Welt, um dem frühen Aufwachen und dem aufkeimenden Tatendrang ihrer Nachkommen einen Sinn zu geben und sie zu beschäftigen. So bekamen sie denn vom müden Vater oder Mütterlein ein paar Euronen in die von Handschuhen bedeckte Kinderhand gelegt. Daran geknüpft war eine Aufgabe, deren Erfüllung sie nun voll Tatendrang und Abenteuerlust entgegensahen: die lieben Eltern, und in machem Haus gar noch Brüderlein und Schwesterlein dazu, waren hungrig und wollten das Magenknurren stillen. 

Und so musste der Nachwuchs denn gar ausziehen, um auf die Jagd nach etwas Essbarem zu gehen. Dies war ihr Auftrag in der gold'nen Morgenstund. Da traten sie nun mutig hinaus in die schneebedeckte bronxx und machten sich auf den Weg, um bei der Bäckersfrau die kostbar prall gefüllten Papiertüten mit dem noch warmen Teiglingen zu erstehen. Der Weg war lang und trotzdem frohgemut, voller Vorfreude auf das lieblich appetitlich duftende Gebäck. Immer wieder sprachen sie den Auftrag der Eltern leise murmelnd vor sich hin, damit ja kein Wunsch daheim unerfüllt und kein noch so großer Hunger ungestillt bleiben sollte.

Die Frau in der Backstube empfing sie lächelnd, verstand ohne viel Aufhebens die Sprache der kleinen bronxx-Bewohner, gab ihnen die riesige Tüte in ihre kleinen Finger und zahlte brav das Wechselgeld zurück. Der Mut und die großen leuchtenden Kinderaugen gefielen ihr und sie erfreute auch an diesem Wochenende dieser einzigartig glückseligen Momente. Lange sah sie ihnen nach, ihren sicherlich manchmal gar weiten Weg nach Hause antreten.


Da liefen sie nun und die Tüten wurden kalt und ebenso die Hände. Denn es war Winter und die Wärme der Backstube war nur ein flüchtiger Begleiter. Die Finger wurden wieder klamm und hatten große Mühe, das Papier ganz fest zu halten. Und so kam, was kommen musste, der Beutel glitt hin und her im Wollhandschuhgerangel und bald schon war - schwupps - der erste Teigling in das nasse Weiß gefallen. Ganz brav erzogen und den mahnenden Zeigefinger der Mutter im nagenden Gewissen erinnert, liefen sie einfach weiter: vom Boden hebest Du nichts auf, denn dort ist es schmutzig und Du lässt es besser liegen...

Und so begab es sich zu dieser Morgenstund, dass viel viel Frühstücksgebäck die Bürgersteig und Straßen des WRGs an diesem Sonnabende zierte. Fein säuberlich aus der Tüte in den Schnee geplumpst, lag etwa jede hundert Schritte ein neuerliches Hefeteilchen: aus Lauge, Rogge oder Weizen. Die kleinen Knirpse waren Fleißig und kamen von überall her. So brave Buben und Mädels und so artig...

Oder war es etwa doch ganz anders als es der geneigten Schreiberin und Finderin hier scheint? Waren es am Ende Hensel und Grätel, die in den Bürgerpark auszogen, um den Eltern Holz zu sammeln, damit sie in diesen kalten Tagen wenigsten eine einz'ge warme Stube ihr eigenen nennen konnten? Waren die beiden Kindelein so unglücklich darob des Elternhauses? War da gar ein Vater, der sich im Alkohol verlor oder eine Mutter, die als Stiefmama den Vater nur und nicht die Kinder liebte? War das Geschwisterpaar nun Hand in Hand auf der Flucht durch diese Eiseskälte, Krumen streuend, um bei Einbruch der Dunkelheit den Weg sicher nach Hause zu finden?

Nicht auszudenken, welch' traurige Schicksale und Geschichten solch Teiglinge in der klirrend kalten Pracht des Winters in sich bergen, Wir werden es nie erfahren. Und nur in den Mäulern die Hunde wird  dieser Tag ewig süßlich munden. Denn sie kamen mit der Morgenrunde geführt an Herrchens oder Frauchens Leine und labten sich an diesem Schmaus. Und so ist dieses Märchen aus und alle Hunde geh'n nah Haus. Und hoffentlich auch Hensel und Grätel. Bestimmt. Vielleicht. Wer weiß das schon, hier bei uns in der bronxx.