Donnerstag, 25. Februar 2016

Ein Rapper am Morgen…


Also ich fahre ja bei Wind und Wetter mit dem Rad zur Arbeit, weil „isch habe gar kein Auto“. So ist das.
Wäre auch gar kein Platz mehr hier draußen vor dem Haus frei. Und Bewegung ist ja auch viel gesünder. Das ist mein Erklärungsmodell, was auch eigentlich immer bombig bei meinen Diskussionspartnern ankommt.

Ihr werdet das auch kennen: seit Jahren die selbe Strecke, minutiös durchgeplant, Schleichwege geschecked und alles aufs Minimum reduziert. Mehr geht nicht. Wirklich nicht. Ein Teil der Strecke führt durch die Stadt. Eine zeitlang war ich dort so früh morgens unterwegs, dass ich mich noch durch die Pulks von angestrammten großen Kindern äh Jugendlichen ab (hoffentlich schon) achtzehn hindurchkämpfen musste.
Kotzend, schlafend, pöbelnd, pinkelnd und manchmal mutig reifere Mädels angrabend. Alles dabei.
Und da sag noch einer die bronxx sei schlimm. Nee, ehrlich. Ganz im Ernst, die bronxxler sind gnadenlos ehrlich und wissen sich – trotz der Umstände – auch irgendwie zu benehmen. Die Feierleichen aus der City machen vier Tage die Woche einen auf brav und verwandeln dann am Wochenende – endlich – die Ex-Pano- und noch-Silberquellen-Gegend in einen Scherben- und Kotzehaufen. Netter Anblick übrigens…
Das muss hier auch mal klargestellt werden. Mich regt das jedes Mal auf, wenn ich da nachts den Radweg nur per Umweg über Königslutter nehmen muss, weil mir da keine von den achtzehnjährigen chicks -  ja keine! -  meine platten Reifen ad hoc reparieren könnte… Das wäre zu viel verlangt, wenn man schon sein Fläschchen und sein Sektgläschen nach Mitternacht nicht mehr richtig im Griff hat…


Ich bin also morgens – es ist noch dunkel – auf dem Arbeitsweg und schleiche mich mit meinem Drahtesel links an Braunschweigs größtem Sparschweinentleerergebäude vorbei. Ist immer ein bisschen wie downhill: gefährliche kleine Äste im Herbst und Schneeeisglätte im Winter erhöhen den Schwierigkeitsgrad auf dem Abhang.
Aber ich liebe und schaffe es jedes Mal. Fußgänger sind auch selten da, höchstens einige Mitarbeiter der oben genannten Firma, die dort die Mittagspause lauschig mit Handy am Ohr an der Oker sitzen und alle anderen Geldgeschäfte abwickeln.

Ich kam jedenfalls morgens so um ca. sieben Uhr achtunddreißig um die Ecke vom großen Haus, an dessen Fassade ein roter Lichtstrahl sich in den Himmel beamt. Plötzlich steht da – kurz vor der kleinen Okerbrücke – eine Person vor mir. Fast aus dem Nichts im Morgengrauen vor meine Luftreifen spaziert… ein großer kräftiger Mann… Ich erschrecke mich zutiefst und lege eine Vollbremsung hin. In mir spielen sich dramatische Unfallszenen ab und ich überlege, wie ich das wohl nachher meinem Arbeitgeber erklären darf. Und auch der Polizei, weil, das ist hier nämlich kein Radweg. Oh man.
Da reißt mich die dunkelste Stimme der Welt (und der bronxx natürlich) jäh aus meinem selbstinszenierten Horrorfilm:
„Guten Morgen, mein Schatz! Wie geht es Dir?“, basst es mir entgegen. Dreimal dürft ihr nun raten, wer das war? Kam hier ja auch schon vor im blog…
Na? Und? Wer kann das eigentlich nur ein?
Richtig. Mein Rapper! Mein Rapper. Morgens um sieben Uhr achtunddreißig auf dem Weg zur Arbeit. Und dann noch mit so einer Ansage.
Ich lächele und fahre weiter.
Hach, he made my day.
Danke bronxx, dass Du immer und überall bei mir bist und, dass Zuhause immer irgendwie dabei ist…


Donnerstag, 18. Februar 2016

Es geht kein Weg zurück



Oder doch? Meistens nicht. Meistens… In einem Fall aber schon. Nämlich in ihrem Fall: die Rückwärtsgeherin.

Man sieht sie nicht oft hier bei uns in der bronxx. Manchmal taucht sie unverhofft an einer Ecke auf, schaut einen durchdringend an und wartet auf eine Reaktion. Und dann geht sie los. Rückwärts. Mit dem Rücken nach vorne, den Hinterkopf mit dem braunen Haar mutig dem Ziel entgegengestreckt, Schritt für Schritt, immer weiter.
Irgendwie unerschrocken, scheinbar zielstrebig und in der Regel wohl auch unfallfrei geradeaus verkehrt herum durch die Straßen in die Weltgeschichte.
Mal leise und mal laut vor sich hinbrabbelnd. Vielleicht zählt sie ihre Schritte oder ist ihr eigenes Navi. Keine Ahnung, auf jeden Fall mal geht sie rückwärts.

Und jeder, der ihr begegnet, hat schon festgestellt, dass es besser ist, sie dabei nicht allzu offensichtlich zu beobachten oder gar anzustarren.
Das bringt sie durcheinander, diese Frau mittleren Alters, der man solch eine spezielle Form der Fortbewegung eigentlich erstmal gar nicht an der Nasenspitze ansieht. Wie gesagt, wenn man sie anstarrt, unterbricht sie ihr Tun. Sie hält dann inne und erhebt ihre Stimme. Dann klingt ihr Brabbeln wie ein Schimpfen und ihr Rückwärtsgang scheint nicht mehr zu funktionieren.
Dann stoppt sie unwillkürlich ihre Reise, fuchtelt mit den Armen und adressiert rufende Laute an ihr Gegenüber.


Ich persönlich habe es fast nie geschafft, sie n i c h t anzusehen. Irgendwie war ich zu neugierig. Oder ich wollte sie verstehen oder so etwas. Aber ich konnte ihre Sprache nicht deuten geschweige denn in die meine übersetzen. Und so ließ ich ihr ihren Standpunkt – im wahrsten Sinne des Wortes – und ging oder fuhr einfach weiter.
Aus sicherer Entfernung habe ich mich dann trotzdem nochmal umgedreht und sah sie dann wieder ihren Kurs aufnehmen. Voran den Rücken und die Hacken, einen vor oder hinter den anderen – je nach Betrachterperspektive -.
Durch die Straßen, den Bürgerpark und wo die bronxx einen eben noch so hinführt, wenn man sie durchquert.


Bei meinen Gedanken an sie fällt mir eine ganz schön pseudo-eso-mäßige Lebensweisheit ein: „Dein Leben musst du vorwärts Leben, verstehen wirst du es rückwärts.“
Vielleicht hat es ja diese Rückwärtsgeherin irgendwie mal leichter im Leben?
Warum? Na, ja, sie lebt und geht halt rückwärts und vielleicht versteht sie dann das Leben auch vorwärts besser.
Hm, möglicherweise werde ich jetzt auch viel zu philosophisch für diesen blog hier oder für die bronxx… Wer weiß?

Eines Tages werde ich alles verstehen und mit Sicherheit auch mein Leben und vielleicht auch die Frau, die immer rückwärts unterwegs. Die, die das WRG ganz unerschrocken rückwärts durchquert und erobert. Diese brabbelnde Unterbrecherin aller gängigen Fortbewegungsmuster des menschlichen Lebens.
Es gibt sie eben alle hier, hier bei uns in der bronxx. Der Stadtteil Braunschweigs aus dem es eben doch einen Weg zurück gibt…




Donnerstag, 11. Februar 2016

Dreieck im Viertel



Es war an einem Sonntag im November. Diesen Sonntagnachmittag hatte ich für meine Suche eingeplant. Ich wollte versuchen, sie alle zu sehen.
Alle? Alle was?
Na, diese Dreiecke, die mich seit ein paar Wochen von überall her in unserem Viertel anlächeln oder anweinen. Wieder andere sehen eher still, verhalten, ruhig oder mürrisch aus, jedoch nie emotionslos.


Diese kleinen Kerlchen waren ganz plötzlich da. Einfach da, einfach mal eben mit ganz viel Liebe – so scheint es – an Hauswände, Einfahrten und andere freie Flächen gesprüht. In gelb, in grün, in rosa, in schwarz und in blau.
Ein Dreieck mit Gesicht, mit ein oder zwei Beinen, einem Auge und meistens hat es auch einen Heiligenschein dabei. Es sieht aus wie ein kleines Männchen, das sich mit seiner jeweiligen Gefühlslage geradewegs an die Hauswand gesetzt oder gestellt hat und da abgeholt werden möchte.
Ich muss immer lächeln, wenn ich eines von ihnen sehe und mir wird ganz warm ums Herz.

Mein allererstes Dreieck ist mir hier um die Ecke auf dem Frankfurter Platz am Haus eines Versicherungsbüros begegnet. Es war grün ausgesprüht und lächelte. Als ich aus dem Bus an der Haltestelle gegenüber ausstieg, hielt ich es für einen verfrühten Weihnachtsbaum. Das zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. Endlich ein cooles Weihnachtsgraffiti. Näher gekommen entpuppte es sich als eines dieser dreieckigen Kerlchen.


Eigentlich sind solche Sprayerbildchen an Hauswänden immer etwas schmuddelig, absolut illegal und sie haben wenig zauberhafte Botschaften für uns. Diesmal ist es anders. Hier ist irgendwie Liebe mit drin, man kann ihnen nicht böse sein. Im Gegenteil, ich suche förmlich nach ihnen auf dem Weg durch die bronxx. Ich möchte, dass sie mich niedlich anlächeln oder angrummeln.
Sie machen mir den Tag.

Und wo sie nicht überall stehen oder sitzen…
Das habe ich versucht heraus zu finden an diesem Sonntagnachmittag im November. In einer guten Stunde habe ich im WRG  zwanzig Dreiecke gefunden und fotografiert. Viele waren gut sichtbar, einige ganz schön versteckt und immer wieder einzigartig. Ob ich sie alle gefunden habe? Ich weiß es nicht.
Ich hoffe.









Was ich leider nie wissen werde: Wer hat diese wundervollen Dreiecke erfunden und gesprayt? Wer hat mir und vielen anderen damit den Tag gemacht?
Was ich jedoch ganz sicher weiß: Ich finde meine bronxx jetzt wieder ein bisschen schöner, heimeliger und bunter. Und darum: Danke von Herzen an den kreativen Menschen, der sein Potenzial leben musste, weil kein Weg drum herum führte. Hier bei uns in der bronxx.


Mittwoch, 3. Februar 2016

Die kleine Kneipe…



So sang einst Peter Alexander. Ein Relikt aus meiner Kindheit. Ich habe es damals immer mitgesungen und hatte dazu wilde Bilder im Kopf. Schon als Kind. Ohne jemals in einer solchen Kneipe gewesen zu sein.
Jetzt, im fortgeschrittenen Erwachsenenalter, meine ich annähernd zu wissen, was Herr Alexander da vertont hat und zu einem Gassenhauer werden ließ…

Das erste Mal betrat ich die Kneipe – klein ist sie aber nun wirklich nicht – in meiner Studentenzeit, die mich Ende der 80er Jahre nach Braunschweig brachte. Die Nächte zum Tag erklärt, war ich kreuz und quer in meiner neuen Heimat unterwegs. Manchmal ohne je zu wissen, wo ich genau war oder bin. Google Maps war einfach nicht. Und es war gut so.



Daher blieb mir nichts anderes übrig, als nach der tollen Kneipennacht mit viel leckerem Essen darauf zu hoffen, diesen Ort irgendwann in der ganzen Stadt einmal wieder zu finden.
Und, was soll ich sagen… Nach exakt 20 Jahren war es soweit. Ich zog ins WRG und stand plötzlich vor diesem Platz des Geschehens, der mich in den noch wilderen Zeiten so nachhaltig beeindruckt hatte. Das Essen, die Atmosphäre, diese Mischung aus Bodenständigkeit und fremdländischer Gastfreundlichkeit. Der Geruch und die gesammelten Schätze aus alter Zeit an den Wänden. Ich war wieder hier, in meinem Revier.
Ich konnte es kaum glauben, gleich um die Ecke meiner Wohnung konnte ich nun immer – so oft wie ich es wollte – das Flair von damals in meine Gegenwart transportieren.

Natürlich mache ich das auch. Ein paar Mal im Jahr muss ich genau an diesen Ort. Mit Freunden, mit Familie und mit meinem Sohn. Gemütlich, in gutbürgerlichem Ambiente mit antiken Holzstühlen und Tischen, umgeben von alten Stadtwappen und von diesem unverwechselbaren Duft, der sich nur manchmal – wenn im Raucherzimmer die Tür aufgeht – mit Nikotin vermischt.
Und, wenn ich da bin, gibt es traditionell das eine Gericht: „Gambit spezial“.
Einen riesigen Teller voll mit allen Köstlichkeiten, die das „Gambit“ so besonders machen. Eine Mischung aus orientalisch-deutscher Küche, appetitlich angeordnet, kalt-warm frisch zubereitet und meist viel zu viel. Aber ich schaffe es irgendwie doch immer, die Porzellanplatte zu leeren. Selig glücklich, genährt und satt zufrieden. Mit allem, was mir mal wieder gefehlt hatte…
Dazu oft ein Alster und interessante Gespräche oder auch schon mal ein Fußballspiel aus dem großen Fernseher gleich vorne hinter dem Tresen.

Dieses „Gambit“ gehört in die bronxx wie die Küche in jedes Zuhause. Hier triffst Du extra von Ferne angereiste Vertraute oder Freunde.
Und natürlich die WRG-Bewohner.
Irgendwer ist immer da, in dieser Gastwirtschaft und im Sommer gibt es einen großen Biergarten vor dem Haus am Platz. Hier wird dann bis weit in die Nacht die WM verfolgt, gebangt, gejubelt, getankt, was die Nieren so aushalten und gegessen, was die stets freundlichen und emsigen Kellnerinnen Gutes aus der Küche kredenzen…

In unserer kleinen großen Kneipe in unserer bronhonxx… Dort, wo das Leben noch lebenswert ist…
Danke, Herr Alexander und danke an das Gambit-Team für so viele Jahre in dem eigentlich besten Viertel der Stadt! Spezial eben…