Donnerstag, 18. Februar 2016

Es geht kein Weg zurück



Oder doch? Meistens nicht. Meistens… In einem Fall aber schon. Nämlich in ihrem Fall: die Rückwärtsgeherin.

Man sieht sie nicht oft hier bei uns in der bronxx. Manchmal taucht sie unverhofft an einer Ecke auf, schaut einen durchdringend an und wartet auf eine Reaktion. Und dann geht sie los. Rückwärts. Mit dem Rücken nach vorne, den Hinterkopf mit dem braunen Haar mutig dem Ziel entgegengestreckt, Schritt für Schritt, immer weiter.
Irgendwie unerschrocken, scheinbar zielstrebig und in der Regel wohl auch unfallfrei geradeaus verkehrt herum durch die Straßen in die Weltgeschichte.
Mal leise und mal laut vor sich hinbrabbelnd. Vielleicht zählt sie ihre Schritte oder ist ihr eigenes Navi. Keine Ahnung, auf jeden Fall mal geht sie rückwärts.

Und jeder, der ihr begegnet, hat schon festgestellt, dass es besser ist, sie dabei nicht allzu offensichtlich zu beobachten oder gar anzustarren.
Das bringt sie durcheinander, diese Frau mittleren Alters, der man solch eine spezielle Form der Fortbewegung eigentlich erstmal gar nicht an der Nasenspitze ansieht. Wie gesagt, wenn man sie anstarrt, unterbricht sie ihr Tun. Sie hält dann inne und erhebt ihre Stimme. Dann klingt ihr Brabbeln wie ein Schimpfen und ihr Rückwärtsgang scheint nicht mehr zu funktionieren.
Dann stoppt sie unwillkürlich ihre Reise, fuchtelt mit den Armen und adressiert rufende Laute an ihr Gegenüber.


Ich persönlich habe es fast nie geschafft, sie n i c h t anzusehen. Irgendwie war ich zu neugierig. Oder ich wollte sie verstehen oder so etwas. Aber ich konnte ihre Sprache nicht deuten geschweige denn in die meine übersetzen. Und so ließ ich ihr ihren Standpunkt – im wahrsten Sinne des Wortes – und ging oder fuhr einfach weiter.
Aus sicherer Entfernung habe ich mich dann trotzdem nochmal umgedreht und sah sie dann wieder ihren Kurs aufnehmen. Voran den Rücken und die Hacken, einen vor oder hinter den anderen – je nach Betrachterperspektive -.
Durch die Straßen, den Bürgerpark und wo die bronxx einen eben noch so hinführt, wenn man sie durchquert.


Bei meinen Gedanken an sie fällt mir eine ganz schön pseudo-eso-mäßige Lebensweisheit ein: „Dein Leben musst du vorwärts Leben, verstehen wirst du es rückwärts.“
Vielleicht hat es ja diese Rückwärtsgeherin irgendwie mal leichter im Leben?
Warum? Na, ja, sie lebt und geht halt rückwärts und vielleicht versteht sie dann das Leben auch vorwärts besser.
Hm, möglicherweise werde ich jetzt auch viel zu philosophisch für diesen blog hier oder für die bronxx… Wer weiß?

Eines Tages werde ich alles verstehen und mit Sicherheit auch mein Leben und vielleicht auch die Frau, die immer rückwärts unterwegs. Die, die das WRG ganz unerschrocken rückwärts durchquert und erobert. Diese brabbelnde Unterbrecherin aller gängigen Fortbewegungsmuster des menschlichen Lebens.
Es gibt sie eben alle hier, hier bei uns in der bronxx. Der Stadtteil Braunschweigs aus dem es eben doch einen Weg zurück gibt…




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