Donnerstag, 31. März 2016

Frühling in der bronxx



Wenn ich mir von den Jahreszeiten eine aussuchen könnte, die das ganze Jahr bleibt, dann nähme ich den Frühling. Den mochte ich schon immer am liebsten. Alles neu. Alles grün. Läuft.

Hier bei uns in der bronxx verwandelt sich das zuweilen doch sehr trist graue Stadtbild in ein frisches, saftiges, lebendiges grünes. Das beste: die zartrosafarbenen Kirschblütenbäume auf dem Frankfurter Platz und der Magnolienbaum unter meinem Schlafzimmerfenster. Er fängt schon jetzt an, seine Knospen in die WRG-Luft zu strecken. Er hat damals auch mit die stärkste Überzeugungsarbeit geleistet, als ich mir vor sieben Jahren meine Wohnung hier angeschaut habe. Jedes Jahr blüht er auf zu einem laut gerufenen: „Bleib’ bitte noch ein Jahr bei uns.“ Oft zeigt er sogar ein zweites Mal im Sommer seine Blüten. Er will es eben ganz genau wissen.

Auf dem Weg zum Platz war dieses Mal schon besonders zeitig das Frühjahr am Start. Dort, wo einst der Computerladen seinen Treppenaufgang zu einem Mini-Nerdgeschäft hatte, war nun eine buntverträumte Osterecke von der neuen Bewohnerin eingerichtet worden. Sie hatte ein kleines Kindersitzbänkchen und jede Menge Blümchen und Gartendekoartikel zu einem bunten Farbtupfer in der bronxx arrangiert. Einer von diesen winzig kleinen weltbewegenden Lichtblicken in unserem oft sonst so dunklen WRG.
Unglaublich und dennoch wahr.

Auch bei uns im Treppenhaus legt die wunderbarste Jahreszeit der Welt jetzt richtig los. Unsere Fensterbänke im Flur sind mit viel Liebe grün gestaltet. Dort werden Pflanzen gezüchtet und überwintert. Ein paar Dekofiguren lockern diese Gewächshäuser etwas auf. Darunter auch ein Frosch, eine Elfe, jede Menge Steine und Muscheln.
Als ich neulich Ostern in Berlin fremd gewohnt habe, entdeckte ich bei meiner Rückkehr eine sehr interessante Begebenheit: die Elfe und der Frosch waren verdächtig nah zusammen gerückt und genau genommen küsste er sie sogar. Ich musste lachen. Es wird tatsächlich Frühling in der bronxx.

Es kann losgehen. Wieder eine neue Runde im graubunten Leben des WRGs:
Der Katzenmann holt wieder seine kurzen Hosen raus. Der Rapper wäscht und bügelt die weißen Feinrippunterhemden. Der Nachbar stockt die Vorräte auf, Biggi heizt schon mal den Grill an, das Gambit räumt endlich die Stühle wieder raus. Am Pissoir wird Schlange gestanden, die Nachbarn gießen die Alibipflanze. Der Kackesauger und die Müllsammlerin polieren die Straßen auf Hochglanz. Die Pudelmützen werden gelupft. Das Bier muss wieder kaltgestellt werden. Und die Elfe kann endlich ihren Frosch küssen im Duft des Magnolienbaumes.
Es wird Frühling. Hier bei uns in der bronxx….

Donnerstag, 24. März 2016

Schwarzer Donnerstag



Eigentlich heißt der heutige Tag „Gründonnerstag“. Normalerweise. Das weiß sogar ich noch. Obwohl ich schon länger religionslos bin. Hat sich eben so eingebürgert. (Vorweg sei es gleich für alle diejenigen gesagt, die heute – trotz des Titels - eine lustige Geschichte erwarten: nee is nich. Heute mal nicht.)
Es ist nämlich d e r  Donnerstag vor Karfreitag und vor Ostern. Alljährlich. So auch heute. Und vor drei Jahren erst recht. Da war ich nicht in der bronxx. Wo ich so war, weiß ich nicht mehr, aber ich war nicht zuhause.
Erst am sogenannten Karsamstag kam ich wieder zurück in die eigenen vier Wände und wollte mittags mal eben schnell noch zum einzigen Supermarkt am Platz huschen. D.h. vielmehr. Ich wollte da schnell rein, einkaufen und wieder zurück in meine Räuberhöhle...

Ich wollte. Doch ich kam erstmal nur bis zum Frankfurter Platz. Dort waren merkwürdig mehr Menschen als sonst versammelt. Eine für hiesige Verhältnisse ungewöhnliche Stille umgab sie alle. Es war denkwürdig still- Einfach zu still.
Ein äußerst beklemmendes Gefühl begann mich zu beschleichen. Mir wurde mulmig im Bauch. Ich ging erstmal weiter. Was sollte schon sein?

Andererseits kennt man dieses komische Gefühl, wenn eigentlich doch etwas ist und man noch nicht genau weiß was…

Ich ging weiter in Richtung des Supermarktes und sah plötzlich auf ein Holzkreuz, das umringt war von einem Meer von Kerzen und einigen Blumen. Wie ein Blitz durchzuckte es meine Mitte. Etwas Schreckliches musste hier passiert sein… Aber was?
Auf einem der jüngst auf dem Platz errichteten bunten Sitzwürfel hatte man eine Art Gedenkstätte errichtet. Auf dem steinernen gelben Sitzquader stand ein Holzkreuz mit einem Namen versehen, umringt von brennenden Kerzen und Rosen und anderen Blumen. Nun verstand ich diese denkwürdige Stille, die alles hier umgab und ich wurde selbst ganz still. Etwas sehr fürchterliches musste hier passiert sein während meiner Abwesenheit…

Ich bekam Angst, spürte Traurigkeit und noch mehr Beklommenheit. Schließlich fasste ich mir ein Herz und befragte einen der anwesenden Männer. Er erzählte mir die schlimme Geschichte, die sich hier an Ort und Stelle am Gründonnerstag 2013 abgespielt und das Leben einer Mutter gekostet hatte. Das was ich dort hörte, machte mich betroffen, wütend, bestürzt, schockiert und ich hatte große Angst.

Ich habe mich von da an lange Zeit gefragt, ob ich hier richtig bin in der bronxx. Ob das hier öfter passieren wird? Ob ich mich und meinen Sohn besonders beschützen muss und kann? Ob ich hier sicher bin?
Ein paar Wochen lang gab es sie diese Gedenkstätte auf dem gelben Sitzwürfel. Dann, irgendwann wurde alles entfernt. Auch der gelbe Sitzstein.
Ein Quader fehlt seitdem auf dem Platz. So, wie ein wichtiger Mensch fehlt in der bronxx. Seit dem Gründonnerstag vor drei Jahren. Dieser Thorstag vor Ostern, der immer ein schwarzer Donnerstag bleiben wird. Hier bei uns in der bronxx…

Donnerstag, 17. März 2016

Des Pudels Kern



Hatte ich schon erwähnt, dass hier auch ne Menge junge Leute im WRG wohnen und in den eigenen vier Wänden kreativ schaffen?
bronxx art halt. Nils aka Schwarzer Peter ist ja bekanntlich auch einer von ihnen. Und einer meiner Nachbarn ebenso.


Wann immer ich aus dem Fenster schaue, er arbeitet. Es ist Sonntag, er ist kreativ am PC. Es ist nachmittags oder spät in der Nacht, mein Nachbar hockt vor dem Rechner. Im Zeitalter der fortgeschrittenen und hochmodernen Technik kein seltener Anblick. Wahrlich nicht. Auch ich verbringe viel Zeit vor dieser Kiste. Im Büro und zuhause. Jetzt gerade auch schon wieder…
Jedoch eben nur nicht so lange, wie der junge Mann aus der Nachbarschaft. Und auch nicht so stylish.
Vorgestern musste ich zweimal hinschauen. Ja, ich sehe da öfter mal rüber. Sorry, ich gebe es ja zu. Sagt bloß, ihr macht das nicht? Und ihr seid natürlich völlig unbeeindruckt vom Tun aus den Wohnungen gegenüber? Nee, oder?!


Na, ja, er jedenfalls saß wieder vor Bildschirm mit Tastatur und ich traute meinen Augen nicht. Auf seinem Kopf thronte die wollige Haube. Eine Pudelmütze.
„Okay“, dachte ich. Seine modische Alternative zur Kapuze eben. Beim Kochen geht man hier in der bronxx nämlich schon mal mit Kapuze durch. Ganz klar. Hut auch. Alles schon gesehen. – Nein, ich hänge nicht den ganzen Tag hier am Fenster und stalke den Rest der Welt. – Hosenträger? Keine Frage. Immer gern genommen. Nur Pudel war neu. So neu, dass ich wie gesagt mehrmals hinschauen musste.
Vielleicht war ihm kalt? Wer weiß…
Vielleicht wollte er Strom sparen und vielleicht wollte er auch bloß seine Ruhe haben… Keine Ahnung. Möglicherweise war jetzt auf den Hund gekommen?
Er saß da ab sofort jedenfalls mit spitzer Strickmütze mit Bommel obendrauf. So ein richtig dicker großer.
Diese Kopfbedeckung führte er gelegentlich aus, wenn er zum Shoppen im „Ihr-wisst-schon-welcher“ – Supermarkt draußen unterwegs war. Aber drinnen? Eventuell hatte er sie vergessen abzusetzen, so beschäftigt mit Kreativem…
Ich werde es in diesem Leben sicher nicht mehr erfahren. Ja. Schade. So komme ich in diesem Fall wohl auch nicht an des Pudels Kern sondern werde mich nunmehr nur an den Anblick an des Pudels Mütze gewöhnen müssen.


Und für den Fall, dass ihr mal vorbeischaut, besorgt Euch schnell noch eine.
Denn, wir setzten Trends. Hier bei uns in der bronxx.
P.S.: Bald sind die echten Hunde dran. In einer Geschichte und so…



Donnerstag, 10. März 2016

"Elch-Disko"



Das Lichterspiel auf dem Bürgersteig erinnerte an eine Diskothek. Tag und Nacht flackerte das Licht auf den Boden der Frankfurter Straße. Doch, es war nicht etwa ein Tanzlokal, was hier versuchte, seine Besucher in den Bann zu ziehen…
Nein, wenn man genau hinsah und noch dazu Fantasie besaß, konnte man in dem Lichterstrahl einen Elch erkennen. Dieses Tier gab einst dem Geschäft, was hier mit so fortschrittlich neumoderner Technik warb, seinen Namen.
Durch die großen Schaufenster und den ebenso gläsernen Eingangsbereich sah man etliche Regale voll von kleinen Schachteln, Döschen und auch Fläschchen.
Allerlei Pillen, Cremes, Tinkturen, Tabletten sowie Bonbons, Tabletten und Säfte standen bereit, mehr oder weniger ihren Dienst am kranken oder eingebildeten Patienten zu tun.
Richtig, zur tierischen light-show gehörte die Elch- Apotheke. Mit ihrem eher altbackenen Interieur und Charme war sie irgendwie so ganz konträr zur Außenwerbung. Innen roch es wie in allen Apotheken medizinisch, ein wenig nach Zahnarzt, nach Hustenbonbon und seltsam gesund.
Wenn der Hausherr selbst zugegen war, bediente er selbstverständlich mit. Er kam aus den hinteren Zimmern in großer Gestalt um die Ecke. Eine Mischung aus Bergdoktor, Jäger und Kräuterkundler.
Stets freundlich, auch mal ermahnend und immer um das gesundheitliche Wohl seiner Kunden bemüht.
Auch ich war desöfteren zu Gast in dieser „Gesundstube“.
Dann wurde mir auch mal im Vertrauen berichtet, wie viele Junkies im WRG leben und sich täglich ihr Konsumbesteck dort käuflich erwarben. Aber auch die älteren Herrschaften tummelten sich zu gerne und regelmäßig in des Apothekers Hausbar.
Es war immer was los dort, wenn man die Eingangstür durchschritt.

Bis, plötzlich eines denkwürdigen Tages, genau eben an jener Tür eine Art „Todesanzeige“ prangte. In DINA 4 Format klebte dort ein bewegendes Abschiedsgrußwort, das man sonst nur von der letzten oder vorletzten Seite der Tageszeitung her kennt.
Immer wieder schockierend, ein trauriger Hingucker für jeden Kunden, der nun damit rechnen musste, irgendwie doch gerade der letzte gewesen zu sein.
Sie müssten schließen, hieß es auf dem Aushang. Die wirtschaftliche Lage und der Umgang der Krankenkassen mit den Pharmaindustrieshops machten ihnen das Leben und das Auskommen schwer und sie würden folglich diesen Laden aufgeben müssen. Von da an umgab ein Hauch von tiefer Trauer dieses Gebäude. Und schon bald stand es verlassen da, wurde das Abschiedszenario Realität. Leergeräumte Schaufenster, ausrangierte Regale und Dekogegenstände unterstrichen die wehmütige Hinterlassenschaft dieses lost-Pillen-places. Und natürlich fiel auch das Elch-Licht nicht mehr auf den Bürgersteig vor dem Laden.

Jahrelang stand das Häuschen untenrum so verwahrlost da, es tat sich nur schleppend etwas in Sachen Räumung und die Zukunft der Räumlichkeiten war ungewiss.
Mittlerweile hat sich dort eine fröhliche kleine Kindergruppe eingenistet und bringt das Lachen in bunter, regenbogenfarbener, naiv-chaotischer Manier zurück in die traurigen Gemäuer. Jeden Tag gibt es eine Veränderung in den farbenfrohen Schaufenstern zu entdecken, winkt eine liebe Lebendigkeit dort heraus.

Vorhin habe ich im Internet entdeckt, dass auch der Elch-Licht-Hüter wieder strahlen kann. Er arbeitet jetzt im Harz und hat da eine neue Wirkungsstätte gefunden. Bestimmt auch nett, aber eben ohne Elch-Deko.
Und manchmal fehlt eben so was hier. Hier bei uns in der bronxx.

Donnerstag, 3. März 2016

Der Sitzer


Manche Dinge versteht man erst, wenn man später die richtigen Leute trifft, die einem das von damals erklären.
So ging es mir neulich, als ich vom Einkaufen im berühmten „Harte-Erdbeeren“- Supermarkt vollbepackt wieder nach Hause stiefelte. Da traf ich auf dem Platz eine Bekannte. Sie so: “Du, Euer blog ist toll. Ich erkenn’ da fast alle wieder.“
Ich schluckte. Einerseits: coole Rückmeldung, voll das Lob. Andererseits: Ach Du je, was passiert eigentlich (mit mir), wenn sich die beschriebenen Personen auch wieder erkennen? Hilfe…
Aber eigentlich bin ich ja ganz nett zu allen, oder?! Ich finde schon.


Dann sprachen wir noch über mögliche neue blog-Geschichten und sie schlug die Figur auf dem Pissoir vor. Stimmt, die hatte ich schon wieder vollkommen vergessen.
Die Existenz des Pissoirs auf dem Platz hatte viele Bewohner nachhaltig geschockt. Statt das WRG attraktiver zu gestalten, lädt man nun auch erst recht die Herrschaften ein, sich in Ruhe gemütlich einen oder zwei zu prosten, denn: die Pipibox ist ja gleich nah bei.
Echt irgendwie kontra diese Aktion. Na, ja, zumindest wird unser Hinterhausgarten seitdem weitaus weniger oft von offenen Hosenschlitze  frequentiert. Also doch anderweitig effektiv.


Eines Tages jedenfalls stand das Teil da. Und eines schönen anderen Tages saß plötzlich eine mannshohe Ton- oder Pappmacheefigur oben auf dem Pissoir. Auf dem Weg zur Bushalte nahmen meine müden Augen dann doch diese Musterunterbrechung zur Kenntnis.
Auf den ersten Blick mutete das Ding wie eine einbetonierte Leiche aus einem Louis-Defunez-Film an. Größe, Form und Farbe erinnerten an dieses TV-Erlebnis aus der Kindheit. Nee, aber so abgebrüht würde selbst hier in der bronxx niemand sein. Denke ich. Hoffe ich doch stark.

Jedenfalls saß die Figur obenauf mit gespreizten Beinen, vorne leicht mit dem Oberkörper übergekippt.
Spannend. Ein Kunstwerk. Ja, doch. Das hat ja bekanntlich Platz auf der kleinsten Hütte. Den Geruch musste der arme Kerl da oben ja nicht mehr ertragen. Ihm war es egal. Quasi. Er hütete von nun an tagein tagaus in gipsweißer Optik das größte Klo im WRG. Er gehörte dazu.



Solange, bis er genauso plötzlich wie er da saß auch wieder verschwunden war. Wie, weiß ich gar nicht. Und ich fand es schade. Wir hatten uns gerade erst so gut aneinander gewöhnt. Na, ja, aus den Augen aus dem Sinn.

Bis, ja bis zu dem Samstag, an dem ich die Frau traf und die Erinnerung wieder hoch holte. Sie meinte, das sei das Pendant zum Türmer auf dem Wasserturm im Bürgerpark gewesen.
Die Idee fand ich grandios.
Unsere bronxxler sind doch echt mal schlau und kreativ.
Während man im Bürgerpark im Juli 2014 mühsam und teuer die vier Meter hohe Bronzefigur auf den Turm hievt, weiß man sich hier schon lange zu helfen.
Ein Meter fünfzig reicht aus, ebenso wie Gips oder Ton. Unser Türmer wird ein Sitzer. Ist eh viel bequemer und im Alter auch die stabilere Position für solche Männer.
Und der Oberhammer: im WRG läuft ja mal unter dem Sitzer das e c h t e  Wasser. 


Das Männekieken im Bürgerpark hat da sicher nur den vertrocknet stillgelegten Turm unter sich.
Wir können eben original und origineller. Hier bei uns in der bronxx.
Leider lebt der Sitzer nicht mehr. Aber wer weiß, vielleicht war ja der Türmer hier einmal nachts unterwegs und hat ihn da vertrieben von seinem Platz. Wer weiß…