Donnerstag, 10. März 2016

"Elch-Disko"



Das Lichterspiel auf dem Bürgersteig erinnerte an eine Diskothek. Tag und Nacht flackerte das Licht auf den Boden der Frankfurter Straße. Doch, es war nicht etwa ein Tanzlokal, was hier versuchte, seine Besucher in den Bann zu ziehen…
Nein, wenn man genau hinsah und noch dazu Fantasie besaß, konnte man in dem Lichterstrahl einen Elch erkennen. Dieses Tier gab einst dem Geschäft, was hier mit so fortschrittlich neumoderner Technik warb, seinen Namen.
Durch die großen Schaufenster und den ebenso gläsernen Eingangsbereich sah man etliche Regale voll von kleinen Schachteln, Döschen und auch Fläschchen.
Allerlei Pillen, Cremes, Tinkturen, Tabletten sowie Bonbons, Tabletten und Säfte standen bereit, mehr oder weniger ihren Dienst am kranken oder eingebildeten Patienten zu tun.
Richtig, zur tierischen light-show gehörte die Elch- Apotheke. Mit ihrem eher altbackenen Interieur und Charme war sie irgendwie so ganz konträr zur Außenwerbung. Innen roch es wie in allen Apotheken medizinisch, ein wenig nach Zahnarzt, nach Hustenbonbon und seltsam gesund.
Wenn der Hausherr selbst zugegen war, bediente er selbstverständlich mit. Er kam aus den hinteren Zimmern in großer Gestalt um die Ecke. Eine Mischung aus Bergdoktor, Jäger und Kräuterkundler.
Stets freundlich, auch mal ermahnend und immer um das gesundheitliche Wohl seiner Kunden bemüht.
Auch ich war desöfteren zu Gast in dieser „Gesundstube“.
Dann wurde mir auch mal im Vertrauen berichtet, wie viele Junkies im WRG leben und sich täglich ihr Konsumbesteck dort käuflich erwarben. Aber auch die älteren Herrschaften tummelten sich zu gerne und regelmäßig in des Apothekers Hausbar.
Es war immer was los dort, wenn man die Eingangstür durchschritt.

Bis, plötzlich eines denkwürdigen Tages, genau eben an jener Tür eine Art „Todesanzeige“ prangte. In DINA 4 Format klebte dort ein bewegendes Abschiedsgrußwort, das man sonst nur von der letzten oder vorletzten Seite der Tageszeitung her kennt.
Immer wieder schockierend, ein trauriger Hingucker für jeden Kunden, der nun damit rechnen musste, irgendwie doch gerade der letzte gewesen zu sein.
Sie müssten schließen, hieß es auf dem Aushang. Die wirtschaftliche Lage und der Umgang der Krankenkassen mit den Pharmaindustrieshops machten ihnen das Leben und das Auskommen schwer und sie würden folglich diesen Laden aufgeben müssen. Von da an umgab ein Hauch von tiefer Trauer dieses Gebäude. Und schon bald stand es verlassen da, wurde das Abschiedszenario Realität. Leergeräumte Schaufenster, ausrangierte Regale und Dekogegenstände unterstrichen die wehmütige Hinterlassenschaft dieses lost-Pillen-places. Und natürlich fiel auch das Elch-Licht nicht mehr auf den Bürgersteig vor dem Laden.

Jahrelang stand das Häuschen untenrum so verwahrlost da, es tat sich nur schleppend etwas in Sachen Räumung und die Zukunft der Räumlichkeiten war ungewiss.
Mittlerweile hat sich dort eine fröhliche kleine Kindergruppe eingenistet und bringt das Lachen in bunter, regenbogenfarbener, naiv-chaotischer Manier zurück in die traurigen Gemäuer. Jeden Tag gibt es eine Veränderung in den farbenfrohen Schaufenstern zu entdecken, winkt eine liebe Lebendigkeit dort heraus.

Vorhin habe ich im Internet entdeckt, dass auch der Elch-Licht-Hüter wieder strahlen kann. Er arbeitet jetzt im Harz und hat da eine neue Wirkungsstätte gefunden. Bestimmt auch nett, aber eben ohne Elch-Deko.
Und manchmal fehlt eben so was hier. Hier bei uns in der bronxx.

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