Donnerstag, 3. März 2016

Der Sitzer


Manche Dinge versteht man erst, wenn man später die richtigen Leute trifft, die einem das von damals erklären.
So ging es mir neulich, als ich vom Einkaufen im berühmten „Harte-Erdbeeren“- Supermarkt vollbepackt wieder nach Hause stiefelte. Da traf ich auf dem Platz eine Bekannte. Sie so: “Du, Euer blog ist toll. Ich erkenn’ da fast alle wieder.“
Ich schluckte. Einerseits: coole Rückmeldung, voll das Lob. Andererseits: Ach Du je, was passiert eigentlich (mit mir), wenn sich die beschriebenen Personen auch wieder erkennen? Hilfe…
Aber eigentlich bin ich ja ganz nett zu allen, oder?! Ich finde schon.


Dann sprachen wir noch über mögliche neue blog-Geschichten und sie schlug die Figur auf dem Pissoir vor. Stimmt, die hatte ich schon wieder vollkommen vergessen.
Die Existenz des Pissoirs auf dem Platz hatte viele Bewohner nachhaltig geschockt. Statt das WRG attraktiver zu gestalten, lädt man nun auch erst recht die Herrschaften ein, sich in Ruhe gemütlich einen oder zwei zu prosten, denn: die Pipibox ist ja gleich nah bei.
Echt irgendwie kontra diese Aktion. Na, ja, zumindest wird unser Hinterhausgarten seitdem weitaus weniger oft von offenen Hosenschlitze  frequentiert. Also doch anderweitig effektiv.


Eines Tages jedenfalls stand das Teil da. Und eines schönen anderen Tages saß plötzlich eine mannshohe Ton- oder Pappmacheefigur oben auf dem Pissoir. Auf dem Weg zur Bushalte nahmen meine müden Augen dann doch diese Musterunterbrechung zur Kenntnis.
Auf den ersten Blick mutete das Ding wie eine einbetonierte Leiche aus einem Louis-Defunez-Film an. Größe, Form und Farbe erinnerten an dieses TV-Erlebnis aus der Kindheit. Nee, aber so abgebrüht würde selbst hier in der bronxx niemand sein. Denke ich. Hoffe ich doch stark.

Jedenfalls saß die Figur obenauf mit gespreizten Beinen, vorne leicht mit dem Oberkörper übergekippt.
Spannend. Ein Kunstwerk. Ja, doch. Das hat ja bekanntlich Platz auf der kleinsten Hütte. Den Geruch musste der arme Kerl da oben ja nicht mehr ertragen. Ihm war es egal. Quasi. Er hütete von nun an tagein tagaus in gipsweißer Optik das größte Klo im WRG. Er gehörte dazu.



Solange, bis er genauso plötzlich wie er da saß auch wieder verschwunden war. Wie, weiß ich gar nicht. Und ich fand es schade. Wir hatten uns gerade erst so gut aneinander gewöhnt. Na, ja, aus den Augen aus dem Sinn.

Bis, ja bis zu dem Samstag, an dem ich die Frau traf und die Erinnerung wieder hoch holte. Sie meinte, das sei das Pendant zum Türmer auf dem Wasserturm im Bürgerpark gewesen.
Die Idee fand ich grandios.
Unsere bronxxler sind doch echt mal schlau und kreativ.
Während man im Bürgerpark im Juli 2014 mühsam und teuer die vier Meter hohe Bronzefigur auf den Turm hievt, weiß man sich hier schon lange zu helfen.
Ein Meter fünfzig reicht aus, ebenso wie Gips oder Ton. Unser Türmer wird ein Sitzer. Ist eh viel bequemer und im Alter auch die stabilere Position für solche Männer.
Und der Oberhammer: im WRG läuft ja mal unter dem Sitzer das e c h t e  Wasser. 


Das Männekieken im Bürgerpark hat da sicher nur den vertrocknet stillgelegten Turm unter sich.
Wir können eben original und origineller. Hier bei uns in der bronxx.
Leider lebt der Sitzer nicht mehr. Aber wer weiß, vielleicht war ja der Türmer hier einmal nachts unterwegs und hat ihn da vertrieben von seinem Platz. Wer weiß…

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