Mittwoch, 7. März 2018

Die stumme Kerstin und der Schorsch


Hier bei uns in der bronxx steht man ja alternativen Lebensmodellen und einem aus der Not geborenen Pragmatismus durchaus aufgeschlossen gegenüber. Und dessen häufigste Erscheinungsform ist die Wohngemeinschaft. Und von denen gibt ja recht viele hier bei uns. Auch Bürger M. lebte in jüngeren Jahren für sechs Jahre in einer. Nicht unweit vom Fränky entfernt und mit direktem Blick auf Peters Autoservice(nur damit ihr eine örtliche Orientierung habt). Und im Nachbarhaus lebte Familie Hellfeier. Leider hatte Familie H. keine heiratsfähige Tochter. Für den Nachnamen wäre ich zu mancherlei Kompromiss bereit gewesen.
Zur unschönen Seite einer Wohngemeinschaft gehört ja auch das stetige Kommen und Gehen von Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern. In unserer Dreier-WG hatten wir das ungefähr alle sechs bis neun Monate. Und nun war es mal wieder der Fall. Geschwind einen Aushang mit Abrisszetteln in der Uni und der HBK gemacht(ja, erwischt, die Geschichte spielt in der Zeit VOR dem Internet) und auf Anrufe warten, interessierte Kandidaten einladen und hoffen, dass die auch erscheinen. 
Es war leider eine ungünstige Zeit mitten im Semester und es meldete sich keiner. Wir hatten uns schon damit abgefunden die Miete zu halbieren statt zu dritteln. Dann klingelte das Telefon. Kerstin.


Kerstin kam spontan vorbei, sie war lustig und nicht auf den Mund gefallen und schien gut zu uns zu passen. Bingo! Eine Woche später zog sie ein. Und ab diesem Moment sprach sie nicht mehr mit uns. Sie verstummte, verrammelte sich in ihrem Zimmer und mied uns wo es nur ging. So lief das zwei, drei Wochen. Dann auf einmal: "Am Samstag kommt der Schorsch vorbei, das ist mein Freund. Habt ihr etwas dagegen?". Leicht geschockt von der wiedererwachten Kommunikationskanone stammelten wir nur "Öööh, nööö, passt schon.".


Samstagnachmittag, es klingelt. "Hallo, hier ist der Schorsch. Ich will zur Kerstin." quäkte es aus der Gegensprechanlage. Schorsch stapfte in den Flur, Kerstins Zimmertür ging auf und man hörte nur ihre Stimme. "Hier! Komm rein!". Er ging in ihr Zimmer, die Tür ging zu und wir schauten uns leicht irritiert an und machten weiter mit unserem Kram. Eine Viertelstunde später: Geräusche. Sehr eindeutige und laute Geräusche. Diese Art Geräusche bei denen man sich fragt "Na, was machen die denn da?", obwohl man natürlich ganz genau weiß, was die da machen. Und es steigerte und steigerte sich. Man hörte nur Kerstin wie sie sich immer mehr reinsteigerte, ähnlich einer Operndiva kurz vor dem großen Finale. Und das Finale kam. Man hörte einen infernalischen Brunftschrei als ginge es darum eine internationale Hirschruf-Meisterschaft zu gewinnen.       Wir standen im Flur und waren uns sicher, gleich kommt Kurt Felix aus dem Garderobenschrank(für die Jüngeren unter uns, das war der Moderator von "Verstehen Sie Spaß?"). Dann war Stille. Kerstins Zimmertür ging auf und Kerstin stand vor uns. Sie trug Stiefel, kniehoch, schwarz glänzend und mit sehr hohen, sehr dünnen Absätzen und sonst nichts. Gar nichts. Sie stand vor uns und redete und redete, wie ein Wasserfall. Und lief dabei wie aufgescheucht durch die Wohnung als würde sie etwas suchen. Dann stellte sie sich wieder vor uns als wäre sie gerade vom Einkauf gekommen oder hätte die Hauswoche gemacht, so als ob nichts passiert wäre. Mein Mitbewohner stupste mich an und gab mir durch Augenrollen zu verstehen, dass da noch etwas ist. Kerstin hatte da etwas im Gesicht. Und da die beiden sich sicherlich nicht gegenseitig mit Buttermilch gefüttert hatten, konnte man es sich ja denken. Und Kerstin tänzelte immer noch vor uns herum und erzählte. (Ja, liebe Leser, genauso so wie ihr gerade, haben wir auch geschaut!). "Komm her!" rief Schorsch sehr dominant aus ihrem Zimmer. Kerstin lief in ihr Zimmer, knallte die Tür zu und weiter ging es. Eine neue Runde, eine neue Wahnsinnsfahrt ...

 

Am Abend, von Schorsch war nichts mehr zu hören oder zu sehen, verstummte Kerstin wieder und wurde wieder zum Phantom. Zwei oder drei Wochen später wurde uns Schorsch erneut angekündigt. Das Ereignis wiederholte sich noch zwei Mal und auf einmal zog Kerstin in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus. Die Miete für drei Monate hatte sie kommentarlos und in bar auf den Küchentisch gelegt. Weder von ihr, noch von Schorsch haben wir je wieder etwas gehört. Und kurz darauf zog Karin bei uns ein, aber das ist eine ganz andere Geschichte.  


Ja, so war das damals in der Wohngemeinschaft direkt gegenüber von Peters Autoservice hier bei uns in der bronxx …


(Die Namen wurden allesamt angepasst wg. Privatsphäre und so, ihr wisst ja …)

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