Donnerstag, 7. Januar 2016

Guten Tag



Die Straße, in der der Schwarze Peter wohnt und sein Atelier hat, wenn er nicht gerade wie jetzt in Wien residiert, ist ziemlich lang.
Ich musste sie im Zuge meines Jobs mit dem Fahrrad ein paar Jahre lang allmorgendlich in der Woche rauf- und runterfahren. Jedoch war die Strecke am ganz frühen Morgen so dunkel, dass ich von meiner Umgebung und den anderen Verkehrsteilnehmern kaum etwas wahrnehmen konnte. Schlaftrunkene Berufstätige auf dem Weg zum Broterwerb. So auch ich, zumindest in Teilen. Was auch immer das jetzt so meint, es ist unwichtig an dieser Stelle. Wirklich.

Ich bin also frühmorgens im Dunkeln diese lange Straße heruntergeradelt, um zur Arbeit zu kommen. Und so um die Mittagszeit das Ganze umgekehrt. Eine geniale Abkürzung, wenn auch verkehrstechnisch sehr gefährlich. Sehr, denn auch hier im WRG gilt, wie anderweitig in unserer Löwenstadt: Blinker, Gefährtbeleuchtung, Handzeichen und Verkehrsregeln sind unnützes Beiwerk für die Mehrheit der Beteiligten. Im nächsten Leben: ich Polizei… Besser als die bronxx-üblichen Problemlösungen, dazu jedoch mehr an anderer Stelle.

Zurück zur langen engen Straße und zurück vom Job nach Hause auf besagter. Mittlerweile bei Helligkeit und partiellem Sonnenschein angekommen, rechts und links vom Wegesrand mehr wahrnehmend, begegnen mir auch hier merkwürdigerweise oft dieselben Gestalten. Und es ginge ja nicht mit rechten Dingen zu, wenn da nicht wieder ein ganz besonders spezielles Exemplar dabei wäre…. Bei näherem Hinsehen sogar mehr als reichlich…

Eine von ihnen ist außerordentlich freundlich und schon das erste Mal sagte sie ziemlich laut über die Straße:  “Guten Tag!“
Ich bin irritiert, mir rutschen vor Schreck selbige Worte aus mir heraus, während ich parallel beim Weiterflitzen angestrengt überlege, w o h e r  ich sie bitteschön kennen könnte. Ich weiß es nicht! So gar nicht… Na, ja, war einfach eben nur nett und fertig. Kann ja auch mal was nett sein hier in unserer bronxx. Einmal kann ja auch mal was so herum sein. Schön!

 
Zwei Tage später wiederholt sich dieselbe Szene auf dem Radweg nach Hause fast original genau so… Nur diesmal geht die Dame allerdings auf der anderen Straßenseite entlang. Ihr leicht russischer Akzent bringt wiederum ein lautes klares „Guten Tag!“ aus ihrem Mund zum Vorschein. Dabei strahlt mich
die Frau unvermittelt an. Sie schiebt ihren Rollator inklusive angebammelter Handtasche vor sich her und macht mit ihren wohl gut sechzig Jahren keinen annähernd gehbehinderten Eindruck. Immer adrett in Hut und Mantel verpackt, wird sie wohl auf dem Weg zum nächsten Supermarkt sein, denke ich. Und ich weiß immer noch nicht, woher ich sie kenne…
Wie ihr Euch wohl schon denken könnt, wird meine Scheinbar-Russin in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren meine stets treue Begrüßerin auf meinem Weg von der Arbeit nach Hause. Nimmer müde, immer fröhlich, schaut mich dabei an wie eine altbekannte vertraute Freundin und wünscht mir mit ihrer glockenklaren Stimme einen guten Tag.

Ich habe es genossen, manchmal habe ich aus reiner Neugier und purem Vergnügen zuerst angefangen, sie zu begrüßen. Ich wollte wissen, was passiert, wenn man ihr bei ihrem Ritual zuvor kommt. Es passiert rein gar nichts. Alles wie immer. Nur leider jetzt nicht mehr… Nein, nein, sie ist nicht gestorben… Ach, was, ich habe den Job zum Ende des Jahres gekündigt.
Und wer weiß, wann ich ihr wieder begegne. Wann ich mal wieder die lange Straße um die frühe Mittagszeit herum mit dem Rad befahren werde… Drückt mir die Daumen. Wäre nett. Dann hätte ich auf jeden Fall schon mal einen richtig guten Tag!

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