Donnerstag, 10. Dezember 2015

Ich mag Müll



Das ist ein Song. Und, wer von Euch kennt ihn noch?
Kleiner Tipp: Kindheit. Fernsehen. 18:00 Uhr, zumindest so um 1973 herum.

Richtig: Sesamstrasse. Oskar. Aus der Mülltonne.
Er sang damals eine unvergessliche Ode an den Abfall und wohnte sogar mittendrin in seiner Tonne.

Ich habe das Lied gerade nochmal angehört und bin dabei ganz romantisch geworden. Ein Song, irgendwie wie gemacht für unsere bronxx…


Hier gibt es mehr Müll als in anderen Stadtteilen Braunschweigs. Es liegt hier immer irgendwo Dreck, Abfall, Hundekot in den Straßen. Besonders an den Tagen, an denen uns die Müllabfuhr vor Ort beehrt.
Aber auch die so genannten Recyclingstoffe finden nicht immer alle brav den Weg in die entsprechenden Behälter. Besitzer lassen den Unrat einfach mal fallen oder liegen. Dort, wo sie gerade sind oder waren.
Das ist eben auch so richtig bronxx....

Und, wo viel Müll, da auch immer ein Müllsammler. So’ne Art WRG-Hausmeister, der die Straßen aufräumt. Und da ja die Frauen erfahrungsgemäß in unserem blog zu kurz kommen, ist es in diesem Fall ein weiblicher. Ganz genau, ein Frau Hausmeisterin.
Sie wohnt ziemlich nah am Platz, ist von kleiner Statur, trägt kurzes graues Haar und ist in etwa 60 Jahre alt.

Jedes Mal, wenn ich sie sehe, hat sie irgendeinen Müllkrams in der Hand. Sie ist stets bepackt mit Papier, Unrat usw. Sammeln, sammeln, sammeln.
Aus ihrem hochroten Köpfchen schauen die Augen unweigerlich auf den Boden und scannen jeden Millimeter nach arglos Weggeworfenem ab.
Dann hebt sie ihr Fundstück unter lautstarkem Protest auf und schimpft den unbekannten Verursacher aus. Dabei ist sie immer bemüht, Publikum zu gewinnen. Sie schaut sich während ihrer Tiraden suchend um und findet dann meistens einen begeisterten Zuhörer oder eine interessierte Zuschauerin.

In mir keimte anfangs auch mal der Wunsch auf, ihrer Inszenierung beizuwohnen und sie mithilfe von Worten daraus zu retten und zu befreien.
Ja, ja, mein Helfersyndrom… ganz ungute Angewohnheit…
„Ist das nicht schlimm, dieser ganze Müll“, fragte sie aufgebracht während sie mich um Unterstützung heischend eindringlich dabei ansah.
Ich fühlte mich irgendwie ertappt, obwohl ich aber auch so gar nichts auf die Straße fallengelassen hatte.
Nickend stimmte ich ihr zu und sagte: „Guten Tag.“
„Ja, Tag, das ist hier ganz furchtbar in der Gegend. So schlimm hier die Leute. Werfen alles nur so weg. Passen nicht auf und haben kein Benehmen. Diese Bande! Das geht so nicht! Das dürfen die nicht!“, entgegnete sie daraufhin noch aufgebrachter.
Dann kam sie ins Reden. Und Reden und Reden. Eine ganze Lawine von Beschimpfungen, Frust gepaart mit Wut und Belehrungen über die bronxx, das Leben und wie schön es doch früher einmal war, rollte aus ihrem Mund zu mir herüber. Begleitet vom hochroten Kopf und dem vorwurfsvoll durchdringendem Blick ihrer Augen.

Ich kam verbal nicht dazwischen. Keine Chance. Sie war nicht zu stoppen. Kein Stück. Weder noch. Schließlich hörte ich ihr einfach nur zu und wartete geschickt einen etwas längeren Moment des Luftholens ab – ich musste darauf ganz schön verdammt lange warten, wie ihr Euch bestimmt schon denken konntet -, um mich dann von ihr zu verabschieden und flugs meiner Wege zu gehen. Seitdem sehe ich sie selten länger an, wenn ich sie grüße. Ich husche lieber zackig an ihr und ihrem Theaterspielplatz vorbei, schön darauf bedacht, dass mir ja nichts zufällig blöderweise aus der Tasche fällt…

Man merkt schnell: sie mag Müll und der Oskar hat ihr aus der Seele gesungen. Ganz eigentlich wirklich braucht auch sie diese bronxx hier. Zum Sammeln, zum Wütendsein, zum Aufräumen, als Showbühne und sicher auch als Aufgabe im alltäglichen Leben.
Soll sie sammeln, die fleißige WRG-Hausmeisterin, denn es bleibt nach wie vor dabei: eine(r) muss den Scheiß hier schließlich wieder wegmachen…


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