Donnerstag, 11. August 2016

Der Minnesänger von der bronxxweide



Ich war schon wieder wach und schaute panisch auf die Uhr. Gott sei Dank, ich hatte nicht verschlafen und konnte mich nochmal umdrehen. Es war erst kurz vor halb zwei und so blieb mir noch genügend Zeit bis zum Beginn der Frühschicht.
Schichtdienst ist echt heavy. Nicht nur das frühe Aufstehen. Nein, auch immer die Angst dabei, genau das zu verpassen und tierisch zu verpennen. Manchmal ging es gut und ich war entspannt. Dann verließ ich mich auf meinen Wecker und schlief einfach durch. Heute irgendwie nicht so. Also, weiter versuchen.

Ich drehte mich auf die andere Seite und löste eine neue Fahrkarte ins Land der Träume. Doch kurz vor der Abfahrt des Zuges stand ein Straßenmusikant am Bahnsteig. "Baby, baby, please take me home and let me be your lover for tonight..., : drang es flehentlich in mein Ohr. Ich so: "Och nö, ich muss morgen früh raus und will jetzt endlich wieder schlafen."
So schnell gab er sich jedoch nicht geschlagen und legte noch einen nach. Abermals mit einer gehörigen Portion Schmalz um die Noten.
Ich riß die Augen auf und saß senkrecht in meinem Bett. Oh man, ich war gar nicht im Zug. Und auch den Minnesänger unterm Zugfenster gab es nicht. Zumindest sang er nicht auf dem Bahnsteig. Nein, er tat es direkt aus dem Fenster schräg unter mir. Dort gab er jetzt alles. Er war drin im flow. Es lief super für ihn. So gut wie nie zuvor. Er baute Improvisationen auf der Gitarre mit ein und sein Produzent wäre sicher sehr stolz auf ihn gewesen. Diese Aufnahme hätte es auf die CD geschafft. Auf jeden.

Der zweite Song folgte nach einer kurzen Pause. Diesmal ohne Klampfe. Einfach so. Pur. Er hatte sich Mut angesungen und nun war alles möglich. Alles.
Bei mir in meinem Kopf auch: von rumbrüllen über Eimer Wasser versuchen rüberzuzielen bis hin zu einseinsnull rufen.
Mir reichte es. Erstens wollte ich ihn nicht heute Nacht mit nach Hause nehmen und zweitens genügt einmal anfragen. Ich wollte schlafen. S C H L A F E N! Und nicht jungen Kunststudenten bei ihren geistigen und musikalischen und sonstwas für Ergüssen zuhören. Ich wollte nicht nachts um halb zwei stumme Zeugin seiner CD-Produktion sein. Da half nur Stecker ziehen. Und zwar ganz schnell.
Ich sprang aus dem Bett, Gardine beiseite, Fenster auf:
"Ey, Alter, ich mag Musik. Alles okay. ABER NICHT NACHTS UM HALB ZWEI! Sieh zu, dass hier Ruhe ist, oder ich rufe die Polizei."
Sofort wurde es ruhig im Studio gegenüber. Der Barde verstummte. Es war mucksmäuschenstill und nur das Schließen seines Fenster verriet noch seine Anwesenheit im Dunkel der Nacht.

Ich ging wieder zurück in mein Bett, drehte mich um und schlief dann müde ein. Diesmal fuhr der Traumexpress allein und ungestört vom Bahnsteig ab. Ohne Minne. Ohne Sänger. Ohne Klampfe. Und bis heute hat nie wieder jemand unter meinem Fenster gesungen. Weder für mich noch für irgendein baby.
Am frühen Abend wäre das eigentlich kein Problem, denn da bin ich ja noch wach. Aber da traut sich bestimmt keiner. Tja, happy endings in Märchen und old school kann ich mir von der Backe schmatzen. Schließlich wohne ich hier. Hier bei uns in der bronxx...

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