Donnerstag, 28. Dezember 2017

Räuberpistole in Schwarzweiß

Heute verkleidet sich der Bürger M. als Erzählonkel und erzählt 'vom Krieech'. Also jetzt nicht so richtig, aber von der Zeit als wir alle noch als Quark im Schaufenster gestanden haben und als "unsern Omma mit'm Bollerwagen …". Ihr wisst schon.  
Hier bei uns im Westlichen war ja stets gut was los. Und eine etwas wilde Gegend war es auch schon immer, nicht erst seit wir hier Schnurren, Schoten und Stories ins Internet posaunen. Damals, als es in den Wilke-Werken um die Ecke noch bolzte und krachte, die Straßenbahn noch auf der Frankfurter Straße fuhr und die ganze Welt noch in Schwarzweiß war, auch damals sind hier schon die dollsten Dinger passiert.
(Jetzt bitte das Licht runterdimmen, sich den Geruch von Kohlsuppe und Kohleofen ins Gedächtnis rufen und den Knopf am Volksempfänger auf "Radio Hilversum" drehen, möglichst so, dass es ordentlich knistert und rauscht und sich einen Moderator vorstellen, der im Stil der "Tönenden Wochenschau" spricht, mit rollendem 'Rrrrr' und scharrrfer Betonung.) 
*Brizzel-Rausch-Knister* Dramatische Minuten spielten sich am späten Abend des 6. November 1950 auf der Frankfurter Straße in Braunschweig in und vor der "Altdeutschen Bierstube" ab. Der landesweit gesuchte Bandenchef und Verbrecher Karl-Heinz Sargorski wurde dort gestellt und auf der Flucht erschossen. Selbst durch eine hohe Belohnung von 4000 Mark konnte der Berufsverbrecher vorher nicht dingfest gemacht werden. Dem Mut und Einsatz eines V-Mannes und Kommisar Zufalls war es zu verdanken, dass die Jagd nun ein Ende hat, ein blutiges Ende. 
Der V-Mann der Polizei hat mit Mühen das Vertrauen von Karl-Heinz Sargorski erlangt und ihn in das gutbürgerliche Lokal gelockt. Durch ein Code-Wort konnte der Polizei bei einem Telefonat durch den Fernsprechapparat in Gastraum verraten werden, wo sich der Gesuchte in diesem Moment aufhielt. Als ein weiterer Kommisar in Zivil die Gaststube betrat wurde der Bandit misstrauisch und rief "Dich kenne ich doch auch, vom Tanzboden her!". Er zog seine Waffe, schoss einmal in die Luft und wollte sich aus dem Staub machen. Der Wirt, vom dem Trubel aufgeschreckt, stellte sich ihm in den Weg. "Halt, sie müssen noch ihre Zeche bezahlen!". "Waaaas, Geld? Ist doch schon bezahlt. Hier hast Du!" und schoss auf den Wirt. Die Kugel verfehlte ihn nur um Handbreite. Sargoski stürzte auf die Straße und wurde von mehreren Polizeibeamten unter Beschuss genommen. Er selbst feuerte vier weitere Schüssen ab. Ein Polizeibeamter traf ihn in die Brust. Er warf seine Arme in die Luft, die Waffe fiel auf den Boden und Sargorski sank tödlich getroffen auf dem Straßenpflaster zusammen. 
Ja, so war das damals als die Welt noch in Schwarzweiß war. Nur das Blut nicht, das war schon immer rot.

Ach so, ihr könnt das Licht jetzt wieder anmachen, den Volksempfänger ausstöpseln und die Suppe vom Herd nehmen, wir sind wieder im Hier und Jetzt. Die Altdeutsche Bierstube ist seit langem das GAMBIT, die Straßenkreuzung Frankfurter Straße ist längst zum FRÄNKY geworden und an dem Platz an dem Sargorski sein Ende nahm, sitzt man heute unter Bäumen und trinkt sein Bier. Nur das Interieur der Altdeutschen Bierstube unterscheidet sich nur wenig vom dem des heutigen GAMBIT.

Wer sich also mal wieder über Hundehaufen oder Glasscherben rund um den FRÄNKY aufregt, es könnte auch alles schlimmer sein, auch hier bei uns in der bronxx ...

(Die Daten und Zitate wurden einem Artikel der "Braunschweiger Nachrichten" vom 8. November 1950 entnommen. Dank an Klaus Hoffmann für die Bereitstellung des Artikels.)