Beleidigungen aus der Wand
So, da isser wieder, der
Bürger M., frisch zurück aus dem Urlaub und mit einer launigen
Anekdote aus den eigenen vier Wänden.
Wer von den Älteren kennt
eigentlich noch den „Chopper“, dieses merkwürdige Phänomen das
Anfang der achtziger Jahre in einer Arztpraxis aufgetreten ist? Das
war so eine Stimme aus dem Nichts die rumgepöbelt und Ferkeleien
erzählt hat. Lange ist´s her, großes Thema damals. Daran musste
ich im Nachhinein denken. Aber von Anfang an …
Im Frühsommer zog neben
mir eine neue Nachbarin ein. Eine alleinstehende betagtere Dame,
nennen wir sie Frau S.. Wir liefen uns im Treppenhaus einmal kurz
nach dem Einzug über den Weg und stellten uns vor. Die Dame war sehr
freundlich und redselig und freute sich über die Begrüßung. Ich
freute mich auch, mit der Dame als Nachbarin war kein Lärm oder
sonstiges Unheil zu erwarten. Puh, Glück gehabt, kein Partyvolk oder
gar ein Tuba-Spieler.
Dann sah ich sie nicht
wieder, bis heute nicht. Wir liefen uns einfach nicht mehr über den
Weg. Gut, wenn man arbeitet dann kann das für ein paar Wochen schon
mal vorkommen, aber über Monate? Sie war aber da. Ich hörte ab und
zu Gerausche von der Dusche und dem Waschbecken aus dem Badezimmer
nebenan, sonst nichts weiter. Unsere Wohnungen "berühren" sich
nur an der Badezimmerwand, an keiner anderen sonst. Das war das
einzige Lebenszeichen von Frau S..
Eines morgens dann, ich
hatte mich wieder einmal zu viel umgedreht und war dementsprechend in
Eile, stehe ich im Bad, höre Gerausche von nebenan und denke „Schön, sie ist wenigstens noch da. Man weiß ja nie bei den älteren
Herrschaften.“ und putze mir derweil die Zähne.
Auf einmal höre ich, sehr
laut und eindringlich "MENSCH, IST DER IDIOT SCHON WIEDER AM
KACKEN?!“. Direkt aus der Wand und unmissverständlich die Stimme
einer älteren Frau, anscheinend Frau S.
Ich grinse und denke mir
"Hach, ein Lebenszeichen. Leben live. Prima!". Und dann
gehen mir schlagartig die räumlichen Begebenheiten hier im Haus
durch den Kopf. Meine Nachbarn unter mir links wie rechts sind derzeit nicht
da und über mir gibt es keine Nachbarn. Die Badezimmer der Nebenhäuser sind von hier aus auch nicht einsehbar.
"DIE MEINT MICH!"
schießt es mir blitzschnell in den Kopf. Sie konnte nur mich meinen.
Geistesgegenwärtig und nicht auf den Mund gefallen höre ich mich
selbst sehr deutlich erwidern "DER IDIOT KANN SIE HÖÖÖREN!".
Ein kurzes Poltern und danach Stille, Ruhe, nix mehr.
Das ist jetzt auch schon
wieder gut drei Wochen her und ich habe seitdem noch weniger von
meiner Nachbarin gesehen, geschweige denn gehört. Kein Licht im
Flur, keine Geräusche aus dem Badezimmer nebenan und die Wand hat
auch nicht mehr mit mir gesprochen. Ich sehe aber anhand des
Briefkastens und der Fußmatte, dass sie da ist und existiert.
Wie geht man denn jetzt
damit um? Einfach mal klingeln? War es doch nur ein Missverständnis
oder ein Verhörer? Und was ist in dem Moment damals tatsächlich
passiert? Hat sie etwa, während sie selber – na, Ihr wisst schon –
mit einem Smartphone oder Tablet komische Videos geguckt und diese
kommentiert? Inzwischen bin ich wirklich neugierig. Ich werde
berichten …
Tja, so ist das. Des
Wahnsinns fette Beute sind die ganz normalen Leute. Auch hier, bei
uns in der bronxx …
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